Jeder Mensch, der sich sportlich betätigt, ist wohl schon einmal über das Thema gestolpert. Dehne ich am besten vor dem Sport oder doch lieber danach? Reichen 10 Sekunden oder muss ich eine ganze Minute durchhalten? Wie oft sollte ich dehnen? Ist Dehnen überhaupt sinnvoll?
Auf Fragen wie diese folgen oft die verschiedensten Antworten, doch was stimmt denn nun wirklich?
Was bedeutet „Dehnen“?
Dehnen ist eine Trainingsform mit dem Ziel, das aktive Bewegungsausmaß eines Gelenks oder mehrerer Gelenke zu verbessern oder zu erhalten.
Was passiert eigentlich beim Dehnen?
Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, mit einer Dehnungsübung die Länge eines Muskels maßgeblich beeinflussen zu können. Beim Dehnen spielen einige Mechanismen zusammen, welche zu einer Verbesserung des Bewegungsausmaßes führen. In diesem Zusammenhang spricht man von neurophysiologischen Anpassungen:
- Verbesserte Viskoelastizität der Muskel-Sehnen-Einheit, das ist aber keine Verlängerung des Muskels
- Steigerung von Dehn- und Schmerztoleranz
- Positiver Einfluss auf das nervale System mit einer verbesserten Nervengleitfähigkeit und Anpassungen der Reflexaktivität von Motoneuronen
- Effekte auf das kardiovaskuläre System in Form von einer Verringerung der Gefäßsteifigkeit
Das bedeutet, dass Dehnen vor allem auf sensorischer Ebene durch die oben genannten Mechanismen stattfindet. Durch regelmäßiges Dehnen wird die Dehn- und Schmerztoleranz der elastischen Strukturen im und um den Muskel erhöht. Dies resultiert in einer verbesserten Beweglichkeit von Gelenken.
Nur wenige Studien zeigen eine strukturelle Veränderung des Muskels in Form einer nachhaltigen Verlängerung.
Kurzfristig kann ein Muskel um bis zu 2% verlängert werden. Grund dafür sind die elastischen Titinfilamente, welche die kontraktilen Elemente des Muskels (Aktin und Myosin) zusammenhalten. Bei einer statischen Dehnung verlieren sie den sogenannten „Crimp“ und werden in Muskelfaserrichtung auseinandergezogen = strukturelle Anpassungen.
Diese Verlängerung des Muskels ist jedoch nur von kurzer Dauer.
Welche Arten des Dehnens gibt es?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine Dehnung durchzuführen, dabei wird hauptsächlich zwischen Eigendehnung und Fremddehnung unterschieden.
Bei der Eigendehnung macht der Sportler oder Patient eine Übung und reguliert die Dauer und Intensität selbstständig.
Bei der Fremddehnung wird der Sportler oder Patient von einer anderen Person gedehnt.
Weitere Untergruppen bilden das statische und das dynamische Dehnen.
Das statische Dehnen teilt sich in 3 Gruppen auf, welche sich in der Dehnungszeit unterscheiden:
1. 10 – 15 Sekunden der Dehnungsübung führen zu neurophysiologischen Anpassungen mit einer Verbesserung des Bewegungsausmaßes.
2. Bis zu 60 Sekunden der Dehnungsübung führen zu neurophysiologischen und strukturellen Anpassungen.
3. Mehr als 60 Sekunden Dauer der Dehnungsübung wird vor allem im therapeutischen Bereich angewendet, wie zum Beispiel bei Kapseleinschränkungen.
Dynamisches Dehnen wird meist in 5 – 15 federnden schmerzfreien Bewegungen durchgeführt. Auch hier kommt es eher zu neurophysiologischen und weniger zu strukturellen Anpassungen.
Weitere Formen des Dehnens, welche meist im therapeutischen Setting angewendet werden sind das AC-Stretching (Antagonist-Contract) und das CR-Stretching (Contract-Relax).
Auch Kraft- und Ausdauertraining sowie Massagen und Wärme können kurzfristig zu einer Steigerung des Bewegungsausmaßes führen.
Mit all diesen Informationen lassen sich die Eingangsfragen einfach beantworten.
Dehne ich am besten vor dem Sport oder doch lieber danach?
Es kommt ganz auf die Sportart an. Für Sportarten mit schnellen Richtungswechseln und Sprints ist das Dehnen im Vorhinein kontraproduktiv, da Muskeltonus verloren geht und es somit auch Einbußen in der Schnelligkeit gibt.
Für Sportarten wie rhythmische Gymnastik ist das Dehnen vor der Ausübung wichtig, um das volle Bewegungsausmaß erreichen zu können.
Sanftes Dehnen ist nach jeglichem Sport in Ordnung. Allerdings sollte man nach intensiven Trainings darauf verzichten, um die Mikrorisse im Muskel nicht zu verstärken.
Dehnen wirkt keinem Muskelkater entgegen! Ganz im Gegenteil, es kann ihn sogar verstärken!
Reichen 10 Sekunden oder muss ich eine Minute durchhalten?
Laut aktuellen Studien ist der größte Effekt nach 4×40 Sekunden statischem Dehnen erreicht. Die Intensität ist dabei so zu wählen, dass ein Ziehen der Muskulatur spürbar ist, aber keine Schmerzen entstehen.
Wie oft sollte ich dehnen?
Um einen maßgeblichen Effekt zu erzielen, ist ein langfristiges Beweglichkeitstraining von Nöten. Dabei gilt: je öfter, desto besser, üblicherweise sollte die Anzahl von 3 Einheiten täglich nicht überschritten werden. Optimalerweise dehne ich als gesonderte Trainingseinheit.
Ist Dehnen überhaupt sinnvoll?
Dehnen ist sehr sinnvoll! Vor allem bei sehr einseitigen Belastungen wie sitzenden Tätigkeiten, ist es wichtig regelmäßig ein Beweglichkeitstraining durchzuführen, um ein normales Bewegungsausmaß des Körpers zu gewährleisten und Schmerzen vorzubeugen.
In meinem Ambulatorium für Physiotherapie stehen Ihnen meine Mitarbeiter gerne zur Verfügung, um im Rahmen einer Physiotherapie optimale Konzepte für Ihr Training und das Dehnen, abgestimmt auf Ihre jeweilige persönliche Situation, zu erstellen.
Hier finden Sie noch ein Video mit zwei einfachen Dehnungsübungen für die Hüftbeuger und den Quadriceps, die nach Sportausübungen jeglicher Art zu empfehlen sind.